Zurück
Sprache

Brauchen Astronauten eine „Muckibude“?

Wie ein Fitnessgerät aus der Weltraumforschung Kindern beim Erobern der Welt hilft

Astronautinnen und Astronauten im All müssen viel Sport treiben, denn in der Schwerelosigkeit werden ihre Muskulatur und auch das Skelett viel weniger beansprucht als auf der Erde: Der Körper ist ja seine Schwere los. Vor allem die Gesäß- und Beinmuskulatur baut deutlich ab. Sie wird kleiner und schwächer, ähnlich wie bei Kindern, die unter Wachstumsstörungen leiden, Bettlägerigen und älteren Menschen. Und selbst wenn Astronautinnen oder Astronauten Sport treiben, müssen sie deutlich mehr Zeit ins Training investieren als auf der Erde: Etwa zwei Stunden täglich beträgt das normale Pensum. Das ist nicht nur langweilig, sondern frisst auch wertvolle Zeit, die man im All besser in Forschung investiert – denn auf der ISS ist jede Minute kostbar. Mit einer Erfindung aus Deutschland, einem speziellen Trainingsgerät für die Raumfahrt namens Galileo, konnten bei Bettruhestudien auf der Erde Muskulatur und Knochen erfolgreich trainiert werden, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Und das mit einer enormen Zeitersparnis. Eine komplette Trainingseinheit dauert nur circa 30 Minuten, statt der zwei Stunden, die Astronautinnen und Astronauten aktuell noch investieren müssen. Heute hilft dasselbe Gerät zum Beispiel Kindern mit Wachstumsstörungen wie der Glasknochenkrankheit dabei, den Rollstuhl verlassen zu können.

In der Geriatrie wird Galileo für das Training älterer, gebrechlicher und sturzgefährdeter Patienten und Patientinnen (oder bei Osteoporose) eingesetzt. Durch den Muskelaufbau und den Erhalt der Muskelkoordinationsfähigkeiten wird die Mobilität verbessert und dem Knochenabbau entgegengewirkt.

© Novotec Medical GmbH, Pforzheim

In der Reha verkürzt Galileo die Heilungsphase nach Knochenbrüchen, Muskelrissen oder Verletzungen der Bänder. Auch bei Querschnittslähmung wird es eingesetzt. Inzwischen findet man Galileo auch in immer mehr ganz normalen Fitnessstudios.

© Novotec Medical GmbH, Pforzheim

Sportlerinnen und Sportler vom Radprofi
bis zum Golfer nutzen Galileo – zur Verbesserung von Kraft, Kondition und Koordination.

© Novotec Medical GmbH, Pforzheim/HTC Columbia

Lauftraining in der Schwerelosigkeit

Auch im All wurde und wird traditionell mit ganz normalen Trainingsgeräten trainiert – wie etwa Laufband, Ergometer oder Rudergerät. Mit eingeschränktem Erfolg, denn der Trainingseffekt ist ohne Schwerkraft sogar bei zwei Stunden Training am Tag nicht immer ausreichend, da mechanische Reize überwiegend fehlen.

Die Lösung: die Muskeln nicht willentlich betätigen, sondern durch die Simulation des menschlichen Gangs (Wipp-Bewegung) Muskelkontraktionen auslösen. Mit Galileo. Die Füße kommen auf die Galileo-Platte, der Astronaut oder die Astronautin schnallt sich fest, und durch seitenalternierende Wipp-Bewegungen werden die Muskeln in den Beinen, im Gesäß sowie in Bauch und Rücken aktiviert. Das funktioniert auch in der Schwerelosigkeit.

© Novotec Medical GmbH, Pforzheim

Erprobt wurde die Technik am Boden – mit freiwilligen Probandinnen und Probanden, die für mehrere Wochen nur liegen durften. Auch bei der Mission „Mars500“ war Galileo dabei – die Probandinnen und Probanden simulierten 500 Tage am Stück einen Flug zum Mars, abgeschnitten von der Außenwelt in einer Art Raumstation am Boden. Ebenso wäre Galileo eine Bereicherung für die ISS – erste Tests auf Flugzeugparabelflügen (also in der kurzzeitigen Schwerelosigkeit) waren bereits erfolgreich.

Wie fühlt es sich an, wenn man mit zwölf Jahren das erste Mal stehen kann?

Eigentlich wurde Galileo speziell für die Raumfahrt entwickelt. Doch die Forschung zeigte, dass nicht nur die Muskeln gekräftigt werden, sondern auch die Koordination der Muskeln optimiert wird. Das Reizmuster der Vibrationen entspricht dem des normalen Gehens, und beim Training wird das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Muskelpartien verbessert.

Wer gut gehen kann, braucht diese Wirkung nicht.

Aber was ist,
wenn man nicht gehen kann?

Koordination fürs Gehen lernen, wenn man noch nie gehen konnte – und auch keine Muskeln dafür hat?

Dann kann Galileo tatsächlich dabei helfen, das Gehen zu erlernen. In der Uniklinik Köln werden Kinder mit Nerven-, Muskel- und Skeletterkrankungen behandelt, zum Beispiel kleine Patienten und Patientinnen mit Offenem Rücken oder der Glasknochenkrankheit.

Wer unter der Glasknochenkrankheit leidet, hat extrem brüchige Knochen und ist deswegen ab einem Alter von etwa zwei Jahren an den Rollstuhl gebunden. Durch das Galileo-Training lernen fast völlig bewegungsunfähige Kinder nach einigen Monaten allein zu krabbeln, zu stehen oder einige Schritte zu gehen. Wenn ein Zwölfjähriger nach drei Wochen Galileo-Training zum ersten Mal in seinem Leben selbstständig stehen kann oder eine Neunjährige statt 25 Schritten 300 Schritte gehen kann, grenzt das fast an ein Wunder.

© UniReha GmbH

Training auf einer Zentrifuge gegen Knochen- oder Muskelschwund?

In Zukunft könnten Menschen monatelang auf Mond- oder Marsstationen leben.
Wie verhindert man, dass Knochen und Muskeln zu sehr abbauen? Die Idee: Die Raumfahrenden in eine kompakte Human-Zentrifuge stecken und dort künstliche Schwerkraft erzeugen. Die Effekte wurden in Köln in der Bettruhestudie AGBRESA erforscht, gemeinsam von DLR, NASA und ESA. Dort lagen Probandinnen und Probanden freiwillig zwei Monate am Stück in Betten, die um sechs Grad geneigt sind, damit die Körperflüssigkeiten in Richtung Kopf fließen – genau das passiert in der Schwerelosigkeit. Die Zentrifuge könnte, ein paar Mal am Tag als „Trainingseinheit“ angewendet, zum Aufbau und Erhalt eines guten Muskel-, Knochen- und Herz-Kreislauf-Systems beitragen. Das ist eventuell auch auf der Erde interessant, beispielsweise in der Reha. Diese künstliche Schwerkraft in der Zentrifuge könnte Astronautinnen und Astronauten künftig auch vor Augen- und Hirnveränderungen schützen, die durch Flüssigkeitsansammlungen im Kopf entstehen.

© DLR

INNOspace Startseite | Impressum | Datenschutz