Erst mal durchatmen!
Kreislaufschwäche erkennen –
mit Sensoren von der ISS
Das Luftholen fällt schwer. Treppensteigen strengt an. Ein Schlappheitsgefühl kann daran liegen, dass der Körper nicht genug Sauerstoff bekommt. Liegt es an einer Lungenerkrankung? Oder an der Erkrankung eines anderen Organs?
© ESA
Mit einer Atemgas-Analyse können Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte herausfinden, wie viel Luft ein- und ausgeatmet wird, und wie viel Sauerstoff und Kohlendioxid in der ausgeatmeten Luft vorhanden sind. Für solche Analysen müssen Betroffene tagelang in die Klinik, denn die Geräte sind groß und nicht mobil – darum kann die Atmung nicht im Alltag überwacht werden.
Die Lösung: ein miniaturisiertes Atemgas-Analyse-System, das in einer leichten Atemmaske untergebracht ist und tagelang Daten sammeln kann. Auf Basis dieser Daten können die Ärztinnen und Ärzte ohne längeren Klinikaufenthalt erkennen, welchen Ursprung die Schlappheit hat, und die entsprechende Therapie durchführen!
Raumfahrt hat es möglich gemacht, denn das Herzstück der Atemmaske ist ein Sauerstoff-Sensor namens FIPEX aus der Weltraumforschung – heute so klein wie eine Ameise. Er wurde ursprünglich von der Universität Stuttgart und der TU Dresden entwickelt, um an Bord der ISS atomaren Sauerstoff in der Umlaufbahn zu messen.
Atomarer Sauerstoff beschädigt zum Beispiel Solarzellen oder Metalle, und erst durch diesen Sensor konnte bestimmt werden, in welcher Konzentration er vorhanden ist. Das hilft in Zukunft, um zum Beispiel Satelliten langlebiger zu machen.
Rost im Weltall:
Gefahr durch atomaren Sauerstoff
Sauerstoff kommt üblicherweise als Molekül vor: O2. Im Weltraum gibt es ebenfalls Sauerstoff, allerdings finden sich dort meistens nur einzelne Atome. Wie sie da hinkommen? Die UV-Strahlung der Sonne trifft auf die Sauerstoff-Moleküle in 80–160 Kilometern Höhe. Die Strahlung spaltet die Moleküle in einzelne O-Atome und die steigen auf in Höhen von bis zu 1.000 Kilometern – dort befinden sich sehr viele Erdbeobachtungssatelliten (und bei 300 Kilometern auch die ISS), die durch den Sauerstoff beschädigt werden.
Dieser atomare Sauerstoff ist hochreaktiv. Solarzellen verlieren durch Kollision mit den Sauerstoff-Atomen bis zu 30 Prozent an Leistung, verspiegelte und transparente Teleskop- und Sensoroberflächen erblinden, Isolierschichten (zum Beispiel auch Teflon) werden mürbe und büßen an Wirkung ein. Und Metall kann tatsächlich rosten. Wo wann wie viel Sauerstoff ist? Das war kaum erforscht.
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Weltraumtaugliche Detektoren: FIPEX
Forschende des Instituts für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart und des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden entwickelten spezielle Sauerstoff-Sensoren für den Einsatz im Orbit. Ihr Name: FIPEX – Flux Phi Probe Experiment. Die miniaturisierten Messeinheiten (anfangs streichholzgroß, heute in Ameisengröße) erfassen den Partialdruck des atomaren Sauerstoffs aus der natürlichen Umgebung des niedrigen Erdorbits und unterscheiden dabei den molekularen Sauerstoff.
Die Sensoren waren ab 2008 572 Tage lang im All, außen an der ISS. Dort ermittelten sie die Sauerstoff-Konzentration entlang der Flugbahn. Das waren die ersten orts- und zeitabhängigen Messungen des atomaren Sauerstoffs im erdnahen Orbit überhaupt.
Das ist gut für die Raumfahrt: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die zeitabhängige Konzentration des atomaren Sauerstoffs im Orbit kennen, können Bauteile von Satelliten den Bedingungen angepasst werden, um die Lebensdauer zu erhöhen.
Dem Restsauerstoff im All auf der Spur
Auf Basis der FIPEX-Technik wurde 2013 der Picosatellit „SOMP1“ ins All geschossen, in rund 600 Kilometer Höhe. Er ist nur 10 x 10 x 10 Zentimeter groß, wiegt nur knapp ein Kilogramm und kommt mit zwei Watt aus – ein erfolgreiches Studierendenprojekt der TU Dresden. 2017 startete der Nachfolger SOMP2 von der ISS, um noch genauere Daten der Restatmosphäre zu erhalten.
© ILR/TUD/ESA
SOMP2 ist nicht allein: Die FIPEX-Sensoren sind ebenfalls auf 14 weiteren internationalen Nano-Satelliten des QB50-Netzwerks montiert. Diese bilden zusammen einen Schwarm und liefern Daten für die Berechnung des Klimas und des Weltraumwetters. Die Satelliten fliegen in der wenig erforschten Thermosphäre (in circa 300–500 Kilometer Höhe) und sind dort extremen Temperaturschwankungen zwischen circa +120 und -150 Grad Celsius ausgesetzt.
© Tino Schmiel/ILR