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Vom Röntgensatelliten zum
„Röntgenblick“ für Fehlsichtige

Auf den Tausendstel Milli­meter genau geschliffene Gleitsichtgläser – dank Satellitentechnik

Ab 40 werden die „Arme kürzer“. Altersweitsichtigkeit. Diese lässt sich durch eine Lesebrille beheben. Viele Menschen sind aber außerdem auch noch kurzsichtig. Brillen mit nahtlosem Übergang zwischen beiden Bereichen gibt es seit den 1950ern: Gleitsichtbrillen. Aber die Gläser waren nicht individuell anpassbar, sogar Selbstverständlichkeiten wie der Augenabstand (ein bei normalen Brillen zwingend notwendiger Wert) konnten nicht berücksichtigt werden.
Der Effekt: Brillen­trägerinnen und Brillenträger kamen mit Gleitsichtbrillen nicht so gut zurecht.

Erst seit den 2000ern gibt es individuelle Gleitsichtgläser. Auf Basis der eigenen, exakten Daten der Augen werden die Gläser eigens einzeln hergestellt, auf den Tausendstel Millimeter genau – von Zeiss.

© ZEISS

In der Produktion werden dafür spezielle, hochgenaue Diamant-Schneidewerkzeuge eingesetzt, die für den deutschen Röntgensatelliten ROSAT entwickelt wurden. Damals konnten erstmals so exakte und glatte Oberflächen hergestellt werden – heute profitieren davon vor allem Brillenträgerinnen und Brillenträger mit Werten, die nicht dem Durch­schnitt entsprechen. Durch die Individualisierung verbessert sich die Verträglichkeit, der nutzbare Sehbereich wird größer, die bevorzugte Leseentfernung wird berücksichtigt – und die Größe der Brillenfassung wird mit einberechnet.

Ein Stück ROSAT in der Küche: Das in Satelliten und Großteleskopen verwendete glaskeramische Material Zerodur von Schott ist eng verwandt mit dem Ceran vom Ceranfeld. Das Material verzieht sich bei Wärme oder Kälte nicht, das ist auf dem Herd genauso wichtig wie im All. Die Spiegel von ROSAT waren allerdings mit Gold beschichtet, da es sehr gut reflektiert. Für den heimischen Herd wäre dies wenig praktikabel.

© bluedesign/fotolia.com

Vom Röntgensatelliten zum Röntgen auf der Erde: Aufnahmen von Röntgenstrahlung machte man traditionell mit Analog-Film. Das ist im Weltall unpraktisch, da das Wechseln von Filmrollen sehr aufwändig ist. Also wurden CCD-Chips entwickelt, die Röntgenstrahlung erfassen können. Diese werden heute in medizinischen Röntgengeräten eingesetzt.

© Alex Tihonov/fotolia.com

Die „Korrektur“ des Auges –
mit Weltraum-Teleskoptechnik

Grundlage für derart perfekt geschliffene Gläser ist ein zuvor ebenso perfekt vermessenes Auge. Bei der Vermessung kommt eine Technik zum Einsatz, die ebenfalls aus der Weltraum-Forschung stammt: das Wellenfront-Messverfahren.

Es korrigiert Abweichungen beim „Empfang“ von Lichtimpulsen, nachdem deren Weg – beispielsweise durch die Erdatmosphäre oder die niemals perfekte Optik der menschlichen Iris – „gestört“ wurde.

Ursprünglich diente die Wellenfront-Messung dazu, Verzerrungen in der Abbildung ferner Objekte durch Teleskope auszugleichen und die Abbildungsqualität zu verbessern. Bei der Herstellung individualisierter Brillengläser ermöglicht es ein Gerät wie der i.Profiler von Zeiss, der die Wellenfront-Messung nutzt, um das Auge über die gesamte Pupillenöffnung so exakt zu vermessen, dass jede Ungenauigkeit der Iris erkannt und durch den individualisierten Schliff der Brillengläser ausgeglichen wird.

© ZEISS

© ZEISS

Unsichtbares sichtbar machen:
mit den glattesten Spiegeln der Welt

Viele Objekte im Kosmos strahlen kein sichtbares Licht aus. Selbst mit dem besten Teleskop kann man sie nicht sehen. Was sie aber ausstrahlen, sind Röntgenstrahlen. Das Weltall ist voll von Quellen von Röntgenstrahlung, von der Erde aus lässt sich die aber schlecht messen. Also wurde in Deutschland ein Satellit gebaut, der den gesamten Himmel im Röntgenbereich nach und nach erfassen sollte – der ROSAT (kurz für: Röntgensatellit).

Das gesamte Weltall, in Röntgenstrahlung
© Alex Tihonov/fotolia.com

Das Röntgenbild des Weltalls vor ROSAT © NASA

Bevor ROSAT startete, waren im Weltraum 840 Röntgenquellen bekannt. Durch ROSAT konnten 125.000 neue Röntgenquellen entdeckt werden, darunter Neutronensterne und Supernova-Überreste. Die extrem erfolgreiche Mission endete nach acht Jahren, die gewonnenen Daten veränderten unser Bild des Weltraums nachhaltig – nachzulesen in 8.000 wissenschaftlichen Publikationen. Ein ROSAT-Nachfolger ist seit 1999 der europäische Satellit XMM-Newton mit 58 Präzisionsspiegeln.

Die sieben eROSITA-Spiegelmodule
© Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Im Juli 2019 startete eROSITA, ein deutsches Röntgenteleskop – wieder vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entwickelt und gebaut. Hauptziel: ein erstes vollständiges „Bild“ des Weltalls im mittleren Röntgenbereich aufnehmen. Dabei sollen 100.000 Galaxienhaufen beobachtet werden. Die Forschenden erwarten, dabei Millionen von aktiven galaktischen Kernen zu erfassen. Die Spiegeltechnik: sieben Wolter-1-Spiegelmodule mit je 54 verschachtelten Schalen, die mit Gold beschichtet sind.

Auf der Suche nach der glattesten Oberfläche der Welt

Bis es so weit war, musste erst eine große Hürde überwunden werden: Röntgenstrahlen kann man nicht so einfach in einer Linse bündeln wie Licht. Um Licht zu bündeln, genügen Linsen aus Glas. Röntgenstrahlen kann man besser mit Spiegeln bündeln, in einem Wolter-Teleskop. Weil die Wellenlänge der Röntgenstrahlung sehr niedrig ist, müssen diese Spiegel extrem glatt geschliffen sein.

© Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Für die großen Ziele von ROSAT wurden Spiegel benötigt, die so noch nie hergestellt wurden. Die Firma Zeiss nahm die Herausforderung an und produzierte 8 Spiegel mit insgesamt 10 Quadratmetern, die mit einer Rest-Rauigkeit von nur 0,3 Nanometern unvorstellbar glatt sind.

0,3 Nanometer entsprechen nämlich dem Durchmesser von 3 Wasserstoffatomen. Damals war das die glatteste Oberfläche der Welt, das führte auch zu einem Eintrag im Guinnessbuch. Und diese glatte Oberfläche kann man nur herstellen, wenn man das Material aufs Atom genau schleift.

Genaues Schleifen reicht allerdings nicht, die Genauigkeit muss zusätzlich überprüft werden. Auch dafür mussten neue Verfahren entwickelt werden.

© Dornier/EADS

Wellenfront-Messung

In der Astronomie wird die Wellenfront-Messung verwendet, um optische Verzerrungen, die durch atmosphärische Störungen verursacht werden, mit Hilfe von Verfahren der adaptiven Optik auszugleichen.

Unter normalen – also eigentlich perfekten – Bedingungen würden die Lichtimpulse von Lichtquellen in gleichmäßigen, konzentrischen Wellenfronten ausgehen. Durch atmosphärische Störungen werden die Wellenfronten jedoch verzerrt und treffen so auf die Optik des Teleskops. Entsprechend ist auch das erzeugte Bild nicht „naturgetreu“.

Die Bildkorrektur erfolgt durch den Vergleich der Messung mit einer theoretischen, unter „normalen“, also eigentlich „perfekten“ Bedingungen erzielten Verteilung der eintreffenden Lichtimpulse und kann so rückwirkend wieder „entzerrt“ beziehungsweise korrigiert werden, um ein „korrektes“ Bild zu erstellen.

© SN1987A without and with adaptive optics correction: European Southern Observatory

Im menschlichen Auge ist die imperfekte Iris das Äquivalent zur Erdatmosphäre. Um hier die für die Messung relevanten Ergebnisse zu erzielen, werden mittels eines Sensoren (Hartmann-Shack-Sensor) sowohl „ideale“ ungebrochene als auch von vornherein verzerrte Lichtimpulse auf die Optik des Auges gelenkt. Zugleich wird die Darstellung der eintreffenden Impulse auf der Retina gemessen. Aus dem Verhältnis der Differenzen von erzeugten und eintreffenden Impulsen wird der Grad von Imperfektion der Optik – im Falle des Auges also der Iris – ersichtlich.

© ZEISS

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